Neumorphismus beschreibt einen Design-Trend, der zwar noch nicht alt ist, aber schnell an Bedeutung gewinnt. Er betrifft das User Interface Design und verändert aktuell die Art und Weise, wie wir über das Thema User Experience nachdenken.
Neumorphismus ist ein weiterer Evolutionsschritt
Neumorphismus können wir als eine Art Design-Stil auffassen. Denn wie wir die UX angehen und welche Lösungen wir dabei anstreben, ist häufig von einem bestimmten Stil geprägt. Und dieser ändert sich und es treten immer wieder neue Stilrichtungen auf. Wenn wir uns zum Beispiel iOS 6 ansehen, sprechen wir von Skeumorphismus, wobei es sich offensichtlich um einen verwandten Begriff handelt. Das mobile Betriebssystem in dieser Version hat Apple im Jahr 2012 in den Markt eingeführt. Bei dieser Stilrichtung im UX Design ist es das Ziel, ein natürliches Design nachzuahmen und damit Objekte und Oberflächen aus dem realen Leben. Vertraute Gegenstände für die Erstellung von Bedienelementen nachzuahmen, ist ein interessanter Weg, um den Nutzer schnell für sich zu gewinnen. Typisch sind Elemente in einem 3D-Look und eine gewisse Detailverliebtheit.
Mit iOS 7 folgte sogleich eine deutliche Abkehr vom Skeumorphismus und das Flat Design hielt im Webdesign und anderswo Einzug. Bis heute gehört Flat Design zu den wichtigen Design Trends. Das User Interface verzichtet auf realistische Nachahmungen und reduziert auf das Nötigste. Hier sind keine realen Abbildungen vorhanden, die Bildsprache ist stark reduziert. Beim Flat Design ist weniger mehr.
Neumorphismus beschreitet einen Mittelweg
Skeumorphismus ist also realistisch und Flat Design ist minimalistisch. Wer sich das vergegenwärtigt, versteht sofort, worum es sich bei Neumorphismus handelt. Denn dieser Design-Trend kombiniert die beiden vorangegangenen Ansätze und versucht einen Ausgleich zwischen einer zu deutlich realistischen und einer zu stark verknappten Darstellung zu finden.
Denn bei Neumorphismus ist nicht alles flat, stattdessen erfolgt wieder eine behutsame Erweiterung der Bildsprache. Hat Flat Design noch die Farbverläufe und Papiertexturen und Ähnliches verbannt, kehren einige realistische Elemente in das Design zurück. Dazu gehört der Einsatz von Licht und Schatten. Die Gestaltung der Bedienelemente ist weiterhin im Wesentlichen abstrakt, doch nun heben sie sich dank Schattierung vom Hintergrund ab. Es ist deutlich erkennbar, dass in der Szene irgendwo eine Lichtquelle vorhanden sein muss. Die Elemente gewinnen damit an Plastizität und treten aus dem Bild hervor.
Das bietet dem Designer die Möglichkeit, stärker hervorzuheben, in welchen Bereichen er Informationen darstellt und wo Interaktionsmöglichkeiten bestehen. Der Nutzer sieht sofort, wo er hintippen kann. Gleichzeitig erreichen wir ein angenehmes und schönes Erscheinungsbild mit weichen Schattierungen und Lichtakzentuierungen und damit eine bessere User Experience.
Neumorphismus macht einen starken Eindruck
Es ist relativ leicht, mit einem dem Neumorphismus folgenden Design auf sich aufmerksam zu machen. Denn die Nutzer sind Flat Design gewohnt, der neue Designstil ist damit erst einmal ungewöhnlich. Relativ wenige Änderungen sind an bestehenden Designs erforderlich, um diese aufzufrischen. Hier geht es nicht um radikale Änderungen, sondern um eine Weiterentwicklung.
Wer UX-Designs im Neumorphismus-Stil studiert, bemerkt ein typisches Vorgehen in der Gestaltung. Die Elemente sind entweder in den Hintergrund hineingedrückt oder sie treten aus diesem hervor. Das ähnelt ein wenig einer Präge- oder Stempeltechnik und führt dazu, dass Bedienelemente und Hintergrund wie aus einem Guss wirken.
Neue gestalterische Herausforderungen sind die Folge
Die Verwendung dieser Technik führt dazu, dass im Design mit der Dicke der Elemente ein weiterer Parameter auftritt, der bisher im Flat Design keine Rolle gespielt hat. Das kann zu Problemen führen, wenn es um die Hierarchisierung der Elemente geht. Weisen alle die gleiche Dicke auf, ist es für den Nutzer eventuell nicht sofort ersichtlich, welche Knöpfe für wichtige Funktionen vorgesehen sind und welche Bedienelemente eine eher untergeordnete Rolle spielen.
Für den Nutzer könnte es verwirrend sein, wenn Knöpfe, Schalter, Optionsfelder und Karten in ähnlicher Weise um seine Aufmerksamkeit ringen. Schwer könnte auch die Differenzierung fallen, welche Elemente der Nutzer nun schalten oder drücken muss. Es ist die Aufgabe des Designers, das klar herauszuarbeiten und für den Nutzer sichtbar zu machen. Denn der Neumorphismus kann sich nur durchsetzen, wenn er für die Nutzererfahrung Verbesserungen bringt und die Bedienung von Software vereinfacht statt komplizierter gestaltet.
Eine Vorgehensweise könnte im Webdesign und anderswo darin bestehen, den Neumorphismus wohldosiert einzusetzen und nicht die gesamte UX daran auszurichten. Möglich wäre die Verwendung für nur einen Typ von Bedienelement wie etwa für Knöpfe. Diese setzen sich dann klar vom restlichen Flat Design ab, eine Verwirrung des Nutzers findet nicht statt. Oder der Designer setzt sie ein für Bedienelemente auf einer Karte, um anzuzeigen, dass der Nutzer hier draggable Elemente vorfindet. Dank des Schattenwurfs schweben diese über der Karte und machen damit sofort auf sich aufmerksam.
Neumorphismus verpflichtet zur Plausibilisierung
Probleme können im Zusammenhang mit Neumorphismus auch bei der Animation von Elementen auftreten, wie sie zum Beispiel für Mikrointeraktionen typisch sind. Es ist dem Nutzer nicht mehr so einfach zu vermitteln, dass Objekte jetzt ihre Größe ändern oder davonfliegen. Die ständige Verbindung mit dem Hintergrund kann sich hier als Nachteil erweisen und zusätzliche Komplexität in die Gestaltungsprozesse einführen. Außerdem waren Designer in den vergangenen Jahren bestrebt, ein möglichst konstrastfreies Design umzusetzen. Neumorphismus führt mit seinem Licht- und Schattenspiel eventuell wieder zu viel visuelles Rauschen hinzu. Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Schatten auf dem Bildschirm zusätzlichen Platz einnehmen, der für andere Elemente fehlt.
Fazit und Ausblick
Tendenziell bewegt sich Neumorphismus etwas mehr in der Nähe zu Flat Design als zu Skeumorphismus. Das ist naheliegend, denn Skeumorphismus liegt als Trend länger zurück. Ob sich der neue Trend durchsetzt, lässt sich noch nicht mit Gewissheit sagen. Flat Design ist allgegenwärtig, viele UX-Designer folgen in ihrer Arbeit konsequent diesem Stil. Auch dann, wenn sie sich dessen vielleicht gar nicht bewusst sind. Flat Design dürfte damit noch eine gewisse Zeit lang bleiben.
Doch Neumorphismus kann einen prägenden Einfluss ausüben und das Flat Design erneuern. Neumorphismus wirkt auf jedem Fall frisch und trendig und ist damit unbedingt eine Beschäftigung wert. Denn UX-Designer dürfen ihre Nutzer nicht langweilen. Ein neues Produkt verdient auch eine neue UX, die interessant ist, zum Entdecken einlädt und den Nutzer neugierig macht auf die verfügbaren Funktionen. Mit Neumorphismus ist bei der Gestaltung einer solchen Nutzeroberfläche zumindest eine weitere Abstufung möglich.
Quellen
https://www.pacher.agency/blog/neuer-designtrend-namens-neumorphismus-was-steckt-dahinter/
https://ichi.pro/de/ist-neumorphismus-ein-trend-oder-design-unsinn-89514433101876
Skeumorphismus oder Flat Design? Der neue Trend im Webdesign heißt Neumorphismus!